Die Tür
13. Februar 2017, 13:10
Plötzlich steht er vor der Tür.
Ein kleiner Junge mit rotblonden Haaren, kugelrunden gelb-grünen Augen.
Er trägt weiße Hosen, weiße Schuhe einen orange-weiß gemusterten Pulli.
Sofort erinnert er mich an Jemanden.
„Du kennst mich, und ich dich“ sagt er zu mir.
Ich frage ihn woher denn.
Er antwortet darauf: „Du weinst zuviel. Und weil du so unendlich weinst und trauerst, haben wir abgestimmt wer zu dir geht um dich zu trösten.“
Ich frage mich woher er das mit dem Weinen wissen kann.
Es stimmt nämlich.
Täglich, stundenlang laufen mir die Tränen übers Gesicht.
Egal was ich arbeite, womit ich mich beschäftige, auch wenn der Kopf ganz angestrengt an etwas arbeitet – sie laufen mir übers Gesicht.
Seit dem 24 Oktober 2015.
Und auch jetzt, während ich diese Geschichte aufschreibe, ist das so.
Ich frage: „wer sind wir, die abgestimmt haben?“
Ich frage gar nicht wo diese Abstimmung stattgefunden hat, ahne wohin dieses Gespräch führen wird.
Vermutlich lande ich im Anschluß in der Irrenanstalt.
„Abgestimmt haben alle die, um die du so unendlich trauerst.“
Meine Gedanken schweifen gut 65 jahre zurück.
Da habe ich das erste mal getrauert, ohne zu wissen was Trauer ist.
1952 starb mein Ur-Opa und ich habe ihn, so klein ich war, geliebt und auch deshalb eine klare Erinnerung an ihn.
„Darf ich jetzt reinkommen zu dir ?“ fragt er in meine Erinnerungen hinein.
Ohne meine Antwort abzuwarten, stiefelt er los, während ich noch an der Tür stehe.
Nach drei Schritten bleibt er stehen, dreht den kopf mit einer winzigen, geneigten schräge zu mir nach hinten, hält kurz in seinem Schritt inne um sofort weiter zu gehen als er bemerkt, dass ich die Tür schliesse.
Wie selbstverständlich geht er ins Wohnzimmer setzt sich an den Tisch.
Ich setze mich dazu.
„Ach, es ist zwar sonnig aber zu kalt um in den Garten zu gehen“, sagt er. „außerdem sind die Piepmätze doch jetzt da draußen im Gange“
In den Garten gehen, Piepmätze ? – ich ahne es ja ohnehin schon, worauf das alles hinausläuft.
Und dann erzählt er mit einer sanften, ruhigen Stimme und für ein kleines Kind doch sehr besonderen Art weiter: “ weißt du, Andreas hat ja oft gesagt dass ich eine Lichtgestalt ** sein könnte, und sich gefragt wer ich wohl bin oder auch wer mich geschickt hat, damals im August 2000.
Er hatte die richtige Vermutung.
Ich bin eines deiner verlorenen Geschwisterchen. Welches weiß ich nicht, deine Mama hat gesagt es gibt mehrere. Sie hat 2000 entschieden, dass ich zu Euch kommen soll. Du warst so traurig weil im August 1999 dein Papa verstorben war und du nun ganz alleine auf der Welt bist. Und als dann im Oktober auch noch dein Purzelkätzchen gehen mußte, hat die Ruth-Elisabeth beschlossen, ich müsse dich trösten und dir das Liebste und Wertvollste werden, was du je besessen hast.
Also wartete ich bis zum 15. August im Tierheim auf euch.
Und dann habe ich die wundervollsten Jahre mit ganz viel Liebe und Zuneigung mit euch verbracht.
Aber als im Oktober 2015 meine Zeit gekommen war, hast du das richtige entschieden und mich gehen lassen.
Und seit dem weinst Du.
Jetzt haben alle die, die Du in deine nicht enden wollendeTrauer mit einschließt, befunden, einer müsse durch die Tür gehen und dich endlich trösten und Dir sagen es geht uns gut, und auch wir vermissen dich unendlich.
Sie fanden weil ich der Anlass dieses Tränenmeeres bin, müsse ich es sein.
Als ich Ihnen erklärte, dass Du mich doch gar nicht kennen würdest, sagten sie alle doch das spürt sie dass Du die Lichtgestalt Schatziputzi warst.
Und wenn ich meine Sache gut mache bei Dir, dann darf ich auch bei uns, hinter der Tür, das Schatziputzi sein.
So haben sie mich dazu überreden können – denn auch ich würde, käme ich als Schatziputzi zu Dir, bei Dir in Tränen ausbrechen und es würde keine Erlösung für dich und mich geben.
Ich finde es dennoch schade dass du mir jetzt nicht die Ohrchen streichelst, die Barthaare tastest und ich auch gar kein wundervolles Ringelschwänzchen habe dass du mit deinen Fingern tätschelst . . .“
Dann seufzte er tief und bis ins Mark erschütternd, stand auf, ging auf den Flur und die Wohnungsür schloß sich hinter ihm fast lautlos.
Wirklich keine Chance einer Berührung gab es für uns.
Nur unsere Seelen trafen sich noch einmal.
(copyright by carola )
** Lichtgestalt im anthroposophischem Sinne= nach dem Tod kehrt jedes Lebewesen als ein anderes wieder
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und in Anlehnung an eine sehr berühmte deutsche Film-Geschichte, schreibe ich dazu:
diese geschichte könnte sich so, oder so ähnlich, zugetragen haben . . .
„Wahr sind sie Erinnerungen, die wir in uns tragen; die Träume die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden.“
(Dr. Johannes Pfeiffer alias Heinz Rühmann in der Feuerzangenbowle)